NZZ-Interview «heute in 365 Tagen» mit Elmar Artho, COO, Business Unit Leiter, Dozent HWZ

Quelle: http://bit.ly/ElmarNZZ «heute in 365 Tagen»

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Frage 1: Wie hat die Nachricht des Corona Virus Sie erreicht und persönlich geprägt?

Die Auswirkungen des Corona Virus hatte ich anfangs unterschätzt. Obwohl das Virus schon im Januar 2020 in den Medien erwähnt wurde, kam es erst durch die tragische Entwicklung in Italien in mein Bewusstsein. Ich habe dann sofort versucht, Risiken wie grosse Menschenmengen zu vermeiden und Risikogruppen wie meine Eltern zu schützen.
Ich war positiv überrascht, wie eine solche Krise auch zusammenschweissen kann und hilft, uns wieder auf das Wesentliche zu fokussieren.

Frage 2: Wie wirkte sich die Krise auf Ihren Arbeitsalltag aus? Was sind die Auswirkungen mit Blick auf 365 Tage?

Das neue Normal des Arbeitsalltags muss sich noch einpendeln. Am Anfang habe ich die Termine gestrichen oder verschoben, bis ich gemerkt habe, dass ich einen Weg finden muss, mit dem Virus zu leben.
In 365 Tagen wird es für uns alle normal sein, kurze Online-Besprechungen im grossen Kreis abzuhalten, individuelle Tätigkeiten wie Emails im Home-Office zu erledigen und im Büro bewusst projektbezogen zu arbeiten und sich sozial auszutauschen.
Bei einer rein virtuellen Zusammenarbeit geht das Zwischenmenschliche verloren. Für den informellen Austausch zum Beispiel über Mittag, beim Fussball, Joggen, Spazieren oder beim Abendessen müssen wir aktiv Raum schaffen, um den Teamspirit zu fördern und kritische Themen sehr effektiv abzugleichen.

Frage 3: Corona hat die Digitalisierung noch verstärkt. Wie wird es weitergehen? Wie sieht der Arbeitsalltag/-platz in Zukunft aus?

Kontinuierlich wird die Digitalisierung in unseren Alltag Einzug nehmen. Mit der Virtualisierung der Zusammenarbeit und der grösseren Nachfrage über Onlinekanäle hat das Corona Virus der Digitalisierung bereits schon heute einen Wachstumsschub verleiht. In Zukunft können die Endkunden entlang der Customer Journey noch besser bedient werden. Dieser Sog wird auch das B2B-Geschäft transformieren: mit integrierten After-Sales Services, mit der Automatisierung der Supply Chain, mit Virtualisierung der Inbetriebnahme von Smarten Produkten, mit der firmenübergreifenden Entwicklung eines digitalen Produkts als Twin, mit dem optimalen Betreiben einer Anlage durch den Hersteller selbst, mit dem Vorbeugen und Vorhersagen von Wartungen mithilfe zusätzlicher Sensoren und AI und mit neuen Geschäftsmodellen in Form von Subscription-Modellen.
Der Arbeitsplatz der Zukunft richtet sich nach dem Geschäftsmodell des Unternehmens und ist somit individuell auf dieses zugeschnitten. Eine Service-Monteurin zum Beispiel wird bei einem Stillstand einer Anlage mithilfe einer AR-Brille geführt, kann physisch Komponenten wechseln und gleichzeitig zentrale Parameter konfigurieren. Mit der Bestätigung des Einsatzes wird sie die elektronische Rechnung an den Kunden direkt auslösen. Der Arbeitsplatz der Zukunft wird projekt- und prozessbezogen mit der Möglichkeit, Bürotätigkeiten auch vom Homeoffice oder Coworking aus zu erledigen. So hält die Arbeit vermehrt auch im Privatleben Einzug. Den Ausgleich müssen wir aktiv suchen.

Frage 4: Was sind Ihre Beobachtungen: Sind die Schweizer Unternehmen digital fit oder was würde es dazu brauchen?

Bei Unternehmen der Medien-, Banken- und Versicherungsbranche ist das Geschäftsmodell durch der Digitalisierung gefährdet. Sie sind deshalb gezwungen zu reagieren und tätigen grosse Investitionen in die Digitalisierung. Auf der anderen Seite sind viele Herstellbetriebe und KMU bisher eher zurückhaltend und reagieren auf eine Veränderung als «Fast-Follower». Das «Fast» ist hier entscheidend und dafür brauchen wir eine neue Form von Leadership. Mitarbeiter vor allem der jüngeren Generation suchen eine sinnstiftende Tätigkeit mit einer Vision für ein volles Engagement. Die besten Ideen kommen von Mitarbeitern selbst. Um diese Bottom-Up Ideen mit den Top-Town Zielen zu verbinden, brauchen wir eine Leadership-Form mit einer offenen Kultur, mit einem Verständnis für die neuen Technologien und mit einer neuen Art der Zusammenarbeit in kundenorientierten agilen Organisationseinheiten im Sinne von Scrum.

Frage 5: Es gibt neue Ansätze wie alles auf einer Karte zu haben, Chips zu implantieren und so weiter. Was kommt Ihrer Meinung nach noch alles auf uns zu? Werden wir immer abhängiger oder sogar ferngesteuert?

Es liegt an uns, selbstbestimmt zu bleiben. Die Transparenz wird auf jeden Fall zunehmen und eine Gesamtsicht auf einer Karte ist heute schon Realität. Ein Chip kann einen Menschen identifizieren und weitere Informationen wie Verhalten und Wissen speichern. Wir werden damit Teil des digitalisierten Prozesses, was durch Trends wie AR/VR-Multiexperience und Human Augmentation verstärkt wird. Human Augmentation erweitert unsere Fähigkeiten. Wir sind uns heute gewohnt, eine Brille als Erweiterung unseres Sehvermögens zu tragen. In Zukunft werden wir nicht nur ein Hörgerät, sondern damit verbunden auch noch einen Speicherchip mit erweitertem Wissen zum Beispiel für Kundenkontakte tragen. Unser Mobiltelefon ist erst der erste Schritt in dieser Verschmelzung von Mensch-Maschine.
Das Risiko beeinflusst zu werden wächst, weshalb wir lernen müssen, unsere Quellen kritisch zu beurteilen und uns eine eigene Meinung zu bilden. Wir werden in den nächsten Jahrzehnten mit neuen Tools und der Unterstützung von Roboter noch produktiver werden. Als Robotik-Ingenieur ETH sehe ich es in den nächsten 200 Jahren unrealistisch, dass wir durch Roboter ersetzt oder durch diese ferngesteuert werden – die Roboter werden unser Freund und Helfer sein.

Frage 6: Was wünschen Sie sich für die nach Corona-Zeit mit Blick auf 365 Tage?

Meine positiven Wünsche und Hoffnungen sind bei einer nachhaltigen Zukunft. Die Umwelt-Themen sind seit meiner Kindheit dieselben, jedoch wird nicht viel dagegen unternommen. Ich hoffe, dass sich die wirtschaftliche Abkühlung in Umweltstatistiken bemerkbar macht und uns nochmals aufzeigt, dass wir unsere Zukunft beeinflussen und selbst in der Hand haben. Wir sollten weiterhin betriebswirtschaftlich denken, jedoch wünsche ich mir, dass die Nachhaltigkeit verbunden mit einer Bescheidenheit künftig einen ebenso grossen Stellenwert erhält. Dies ist möglich, wenn wir über den Tellerrand hinausschauen, konstruktiv zusammenarbeiten und uns neu erfinden.

Name: Artho
Vorname: Elmar
Berufsbezeichnung: COO, Business Unit Leiter, Dozent
aktueller Arbeitgeber: Industrie Schweiz, HWZ
Alter: 47

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